Wozu dient Sprache, wenn sie nicht verbindet, sondern lenkt? Mir ist aufgefallen: Die sogenannten Kommunikationssperren sind weniger Störungen auf der Leitung als Schalter im Sicherungskasten sozialer Ordnung. Wer sie bedient, regelt Strom: wer leuchten darf, wer im Schatten steht.
Kurz Gesagt: Kommunikationssperren sind sprachliche Hebel, mit denen Normen durchgesetzt, Rollen verteilt und Hierarchien stabilisiert werden. In diesem Text lernst du, wie einzelne Sperren Macht inszenieren, Gefühle managen und soziale Ordnung reproduzieren – und woran du erkennst, wann du sie bewusst nutzt oder ihnen verfällst.
Worum geht es bei Gordons „Sperren“?
Thomas Gordon beschrieb zwölf typische Reaktionsweisen, die Gespräche blockieren: vom offenen „Befehlen“ und „Drohen“ über „Moralisieren“, „Beraten“, „Urteilen“, „Belehren“ bis hin zu scheinbar sanften Formen wie „Loben“, „Beruhigen“ oder „Ablenken“. Sein Kernvorwurf: Diese Reaktionen zielen nicht auf Verstehen, sondern auf Verändern des Gegenübers, und sie würgen Eigenverantwortung ab .
Schon in dieser Liste steckt aus meiner Sicht ein stilles Drehbuch. Jede Sperre kann festlegen, wer definiert, was richtig, wichtig und möglich ist.
Der Machtgriff in der Sprache
Wie lässt sich dieser Dreh verstehen? Klassische Machtbegriffe helfen. Max Weber nennt Macht die Chance, den eigenen Willen trotz Widerstand durchzusetzen. Silvia Staub-Bernasconi betont das über- und unterordnende Verhältnis darin. In diesem Licht sind Sperren verbale Akte, die genau solche Verhältnisse herstellen oder festigen .
Björn Kraus unterscheidet instruktive Macht (beeinflusst Verhalten, braucht Kooperationsbereitschaft) von destruktiver Macht (reduziert Handlungsmöglichkeiten unabhängig vom „Eigensinn“ des Anderen). Viele Sperren zielen auf das eine, rutschen aber ins andere, wenn sie Optionen kappen oder Beziehungskredite verbrauchen . Und mit Habermas gesprochen: Sperren sind strategisches Handeln. Sie wollen Wirkung, nicht Verständigung; sie folgen der Logik von Systemen, nicht der Lebenswelt . So werden sie zu Mitteln sozialer Kontrolle, also zu verbalen Sanktionen, die Normkonformität sichern .
Wie einzelne Sperren Hierarchie bauen
- Befehlen stellt die Lage klar: Gehorsam oder sanktionsbewehrter Ungehorsam. Das schafft eine klare Leiter: oben definiert, unten führt aus .
- Warnen und Drohen stellen Konsequenzen in Aussicht. Das steuert Verhalten durch antizipierten Verlust und macht den Sanktionsapparat hörbar .
- Urteilen markiert Abweichung: „Du bist faul“ sortiert Menschen in Kategorien und bestätigt die Norm samt Eltern-Skripte des Sprechers. Sprache wird zur so zur Rangordnung .
- Moralisieren leiht sich Autorität von vermeintlich allgemeinen Werten: „Man tut das nicht“.
- Loben wirkt zart, kann aber Hierarchie schmieden: Wer lobt, sitzt auf dem Richterstuhl der Anerkennung. Auch ein Samthandschuh hat Nähte aus Macht .
Diese Muster sind keine Pannen. Sie sind präzise Werkzeuge, um Ordnung herzustellen und zu halten .
Ordnung in Aktion: Die institutionelle Bühne
Angenommen, du arbeitest im Jugendamt oder als Bewährungshelferin. Das „doppelte Mandat“ verlangt zugleich Hilfe und Kontrolle. Wenn dort jemand sagt „Sie müssen Ihre Termine wahrnehmen“ oder „Sonst melden wir das dem Familiengericht“, spricht nicht nur eine Person, sondern eine Institution. Die Sperre ist das Medium, durch das gesellschaftliche Erwartungen und Macht transportiert werden .
In solchen Momenten spielt Sprache Systemtheater. Jeder Befehl, jede Beurteilung ist eine Mikrodarstellung der Makrostruktur. So reproduzieren wir durch Sprechakte die Hierarchie, in der wir handeln. Nicht nur Wille wird durchgesetzt, Ordnung wird inszeniert .
Fassade, Gefühl, Kultur
- Impression Management: „Beraten“, „Diagnostizieren“ und auch „Loben“ sind Eröffnungszüge im sozialen Schach. Sie definieren die Bühne: „Ich als kompetente Helferin und du als hilfsbedürftig.“ Nimmt das Gegenüber die Rolle an, stabilisiert sich die gewünschte Ordnung. Lehnt es ab, droht der peinliche Rollenbruch. Misslingt die Performance, kippt es in Inauthentizität, und das erzeugt Widerstand, nicht der Inhalt allein .
- Emotionale Arbeit: „Beruhigen“ oder „Ablenken“ reguliert nicht nur die Gefühle des Anderen, sondern schützt oft auch den eigenen Raum. So hält man die Temperatur der Situation niedrig und bezahlt manchmal mit einem Preis an Authentizität und psychischer Zeche über Zeit .
- Kulturelle Drehbücher: Was hier als Sperre gilt, kann anderswo Höflichkeit sein. Direktes Urteilen mag in einer Kultur als „ehrlich“ gelten, in einer anderen als Gesichtsverlust. Loben des Einzelnen motiviert hier, isoliert dort. Der gleiche Satz, eine andere Hierarchie-Architektur .
Wozu dient mein Satz gerade?
Ich frage mich selbst oft mitten im Gespräch wozu mir das dient und was ich jetzt eigentlich sagen will? Dient es der Klärung der Situation oder des Themas oder meiner Selbstdarstellung? Dient es der Verantwortungsteilung oder der Kontrollsicherung? Diese Innenfragen verwandeln Sprache vom unbewussten Reflex in ein bewusstes Werkzeug.
Hilfreiche Prüfsteine für den eigenen Anteil:
- Wozu dient mein Impuls zu raten, zu urteilen oder zu beruhigen? Der Sache, der Beziehung oder meiner Rolle?
- Welche Optionen lasse ich dem Gegenüber offen, welche schließe ich?
- Agiere ich im Modus des strategischen Handelns (Effekt) oder lade ich zum Verstehen ein (Dialog)?
Kommunikationssperren sind keine reinen Fehlzündungen der Gesprächskultur. Sie sind die unscheinbaren Getriebe, mit denen wir Tag für Tag Ordnung erzeugen: als Hebel der Macht, als Requisiten der Fassade, als Thermostat der Gefühle und als kulturelle Skripte. Genau das erklärt, warum Gordons Ideal einer herrschaftsfreien, non-direktiven Verständigung in der Praxis machmal so schwer zu leben ist: Die Sperren leisten soziale Arbeit und sind tief im Gewebe unserer Institutionen und Routinen vernäht .
Die Kunst liegt nicht im pauschalen Verzicht, sondern im bewussten Einsatz: zu wissen, wann Ordnung Leben schützt und wann sie es klein macht. Als Zuhörende können wir diesen Unterschied hörbar machen. Indem wir unsere Machtmittel als das behandeln, was sie sind: bewusst eingesetzte Werkzeuge, nicht Reflexe.